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Chicken Wings mal anders: Über die Evolution der Vogelextremitäten

In gewisser Weise ist dieser Artikel eine Fortsetzung meines vorherigen blog-Eintrags. Dort wurde, ausgehend von einem Wachturmartikel, der Übergang der Fisch- zu Amphibienextremitäten angerissen. Hier will ich nun eine weitere Vorhersage, welche in dem Wachturmartikel gemacht wurde, betrachten, nämlich der belegbare Übergang von Reptilien- zu Vogelextremitäten.

Es müßte zu sehen sein, daß sich die vorderen Gliedmaßen der Reptilien in Flügel verwandelten, wie sie die Vögel haben, ihre hinteren Gliedmaßen in Beine mit Krallen an den Enden,

Hierfür ist es erst einmal wichtig zu wissen, dass die Reptilien keine einheitliche Gruppe im Sinne der Biologie sind. Stattdessen sind sie, was man als ein paraphyletisches Taxon bezeichnet. Das heißt, dass die Gruppe Reptilien nicht alle Nachkommen eines gemeinsamen Vorfahrens umfasst. In der folgenden Abbildung wird das verdeutlicht:


Abbildung 1: Die Gruppe der Reptilien als Paraphylum. Die grün hinterlegten Gruppen gehören traditionell zur Klasse Reptilia. Die anderen werden hingegen traditionell nicht dazu gezählt. Pisces = Fische, Amphibia = Lurche, Testudina: gemeint sind wahrscheinlich Testudinata = Schildkröten, Lepidosauria = Schuppenechsen, Crocodylia = Krokodile, Aves = Vögel. Unter CC BY-SA 3.0 von Jacek FH

In der Abbildung sind die Gruppen, die traditionell zur Klasse der Reptilien gehören, grün hinterlegt. Was dabei auffällt ist, dass zwei Gruppen aus den Reptilien hervorgegangen sind, die traditionell nicht zu den Reptilien gezählt werden. Zum einen sind das die Synapsiden, deren einzige lebende Vertreter wir Säugetiere sind1. Zum anderen ist das die Gruppe Aves, also die Vögel. Aus der Abbildung ist außerdem ersichtlich, dass die Vögel am nächsten mit den Krokodilen verwandt sind. In der Tat ist es sogar so, dass Krokodile näher mit den Vögeln, als mit den Eidechsen oder gar mit den Schildkröten verwandt sind. Vögel und Krokodile sind die einzigen lebenden Vertreter des Taxons Archosauria.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Vögel mit den Krokodilen als nächste lebende Verwandte zu vergleichen.

Vorderextremitäten

Fangen wir also mit dem ersten Teil der Aussage an:

Es müßte zu sehen sein, daß sich die vorderen Gliedmaßen der Reptilien in Flügel verwandelten

In der folgenden Abbildung 2 wird ein Vergleich der Vorderextremitätenskelette der Krokodile und Vögel gezeigt:


Abbildung 2: Vergleich von Krokodil- und Vogelvorderextremität. Unter CC BY 3.0 von John Conway.

In der Tat können wir deutliche Unterschiede zwischen der Vorderläufe der Krokodile und den Vogelflügel sehen. Wie der Wachturmartikel ganz richtig schreibt, sollten wir nun, wenn eine echte naturhistorische Verwandtschaft zwischen diesen beiden Gruppen besteht, Vorderextremitätenformen, die morphologisch zwischen den Extremitäten von Krokodilen und Vögeln stehen, im Fossilbefund finden.

Schauen wir uns dazu die Vorderläufe primitiver Dinosaurier an:


Abbildung 3: Skelett von Eodromaeus (Martinez et al. 2011, p. 208) Eoraptor (Langer, 2004, p. 27) und Lesothosaurus (Norman et al. 2004, p. 329), drei basalen Dinosauriern (http://pigeonchess.com/2011/02/28/a-tale-of-two-dinosaurs/, Zugriff: 13.2.2012).

Besonders interessant ist hierbei Eodromaeus. Dieser wird als früher Theropode angesehen. Also als Mitglied der Gruppe, aus der, neben Tieren wie Tyrannosaurus rex, auch die heutigen Vögel hervor gingen. Auch interessant ist Eoraptor, dieser zeigt noch Charakteristika der verschiedenen Dinosauriergruppen, so dass er als dem gemeinsamen Vorfahren aller Dinosaurier nahestehend angesehen wird.
Diese beiden Dinosaurier zeigen schon eine reduzierte Anzahl von Fingern. Nämlich drei anstatt der fünf der Krokodile. A.nsonsten ähneln die Vorderextremitäten noch recht stark den Krokodilen, besonders denen früher bipeder Krokodile wie Effigia okeeffeae:


Abbildung 4: Rekonstruktion des Skelettes von Effigia okeeffeae (Nesbitt & Norell 2006).

Von den Vorderläufen der Theropoden ausgehend, es nicht mehr weit zu den heutigen Vögeln:


Abbildung 5: Die Vorderextremitäten von einem späten Theropoden (Ornitholestes) und verschiedener Vögel der unterschiedlichen Zeiten. A: Ornitholestes, B: Archaeopteryx, C: Sinornis, D: Modernes Huhn (Talk Origins Zugriff: 15.2.2012).

Die Skizze A stellt die Vorderläufe von Ornitholestes dar, einem Theropoden aus dem späten Jura vor etwa 154 Millionen Jahren.
Skizze B zeigt uns dann schon die Vorderextremität von Archaeopteryx aus dem Ende des Jura vor etwa 150 Millionen Jahren. Dieser steht den ersten Vögeln nahe (wobei darüber gestritten wird, ob es ein Vogel ist, der den Nichtvogeldinosauriern nahe steht, oder ein Nichtvogeldinosaurier, der den Vögeln nahe steht). Es ist unklar, ob Archaeopteryx schon wirklich fliegen, oder nur gleiten, konnte.
Als nächstes zeigt uns Skizze C den Flügel von Sinoris, einen Vogel aus der Kreidezeit. Dieser konnte definitiv schon fliegen.
Zuletzt sehen wir in Skizze D den Flügel eines rezenten Huhns.

Wir können also, wie von dem Wachturmartikel gefordert, sehen, wie sich Vorderläufe von Reptilien langsam in die Flügel der heutigen Vögel verwandelten. Das bedeutet, dass der Wachturmartikel erneut unabsichtlich einen Beleg für die Evolution lieferte.

Hinterextremitäten

ihre hinteren Gliedmaßen in Beine mit Krallen an den Enden

Der Übergang zwischen den hinteren Extremitäten von Reptilien und Vögeln ist dann sogar sehr einfach zu zeigen:


Abbildung 6: Skizze der hinteren Extremitäten eines Emus (Dromæus), eines iganoiden Dinosauriers und eines Krokodils (Crocodilus)( Huxley 1876)

Sieht man sich die Hinterläufen von Vögeln und Krokodilen an, so erkennt man direkt starke Ähnlichkeiten. Zeigt man dann noch die eines Dinosauriers dazwischen, ist es kaum abzustreiten, dass sich diese auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück gehen.
Maßstäblich ist hier eine Verlängerung und Verschmelzung der Mittelfußknochen zum Laufbein der Vögel, zusammen mit einer starken Verkürzung des Oberschenkelknochens.
Dieses ist auch teilweise bei Nichtvogel-Theropoden zu erkennen:


Abbildung 7: Rechte Hinterläufe von Alectrosaurus, einem Theropoden aus der Oberkreide (Gilmore 1933)

Abbildung 8: Skelett von Compsognathus, einem kleinen Theropoden aus dem Oberjura vor etwa 150 Millionen Jahren (von Zach Tirrell unter CC BY-SA 2.0)

Fußnoten

1. Klassischer Weise werden wir Säugetiere sogar von der Gruppe der Synapsida ausgenommen. Dadurch wird Synapsida dann auch zu einem Paraphylum.

Quellen:

Conway, John: http://jconway.deviantart.com/ Zugriff: 13.2.2012

Gilmore C. W.: Dinosaurian fauna of the Iren Dabasu Formation. Bulletin of the American Museum of Natural History 67:23-78. (1933)

Langer, Max C. (2004) “Basal Saurischia“, chapter 2 in Weishampel, David B. et al. (2004) The Dinosauria (2nd edition)

Huxley, Thomas Henry: Professor Huxley’s Lectures II. Popular Science Monthly Volume 10 December 1876 (1876). http://en.wikisource.org/wiki/Popular_Science_Monthly/Volume_10/December_1876/Professor_Huxley%27s_Lectures_II

Martinez, Ricardo N. et al. (2011) “A Basal Dinosaur from the Dawn of the Dinosaur Era in Southwestern Pangaea“, Science 331(6014): 206-210

Nesbitt SJ, Norell MA:Extreme convergence in the body plans of an early suchian (Archosauria) and ornithomimid dinosaurs (Theropoda).Proc. R. Soc. B 7 May 2006 vol. 273 no. 1590 1045-1048

Norman, David B. et al. (2004) “Basal Ornithischia“, chapter 14 in Weishampel, David B. et al. (2004) The Dinosauria (2nd edition)

Talk Origins: http://www.talkorigins.org/faqs/comdesc /section3.html

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Beobachtbare Evolution: Die Eidechsen von Pod Mrčaru

Manchmal können Experimente durch äußere Umstände einen unerwarteten Verlauf nehmen. Als z.B. Eviatar Nevo et al. im Jahr 1971 fünf Pärchen Ruineneidechsen (Podarcis sicula) von der kroatischen Insel Pod Kopište auf der Nachbarinsel Pod Mrčaru aussetzten, um deren Interaktion mit der dort lebenden Population der adriatischen Mauereidechse (Podarcis melisellensis) zu beobachten, ahnten sie wahrscheinlich nicht, dass ihr Experiment wegen des kroatischen Unabhängigkeitskrieges länger dauern würde als erwartet.

Die Ruineneidechse (Podarcis sicula).

Abbildung 1: Bild einer Ruineneidechse (Podarcis sicula). Hans Hillewaert / CC-BY-SA-3.0

Pod Kopište und Pod Mrčaru ähneln sich sowohl in Größe, wie im Klima, jedoch ist Pod Mrčaru reicher an Vegetation.  Als 2004 wieder Wissenschaftler Pod Mrčaru betreten durften, mussten sie feststellen, dass die Ruineneidechsen die Mauereidechsen vollständig verdrängt hatten.

Und mehr noch, sie stellten fest, dass in den etwa 30 Generationen, in denen die Ruineneidechsen auf Pod Mrčaru bevölkert hatten, diese den pflanzlichen Anteil in ihrer Ernährung, im Vergleich zur Ausgangspopulation auf Pod Kopište, deutlich vergrößert hatten (Abbildung 2.A).

Bild 2: A) Anteil pflanzlicher Nahrung an der Ernährung männlicher (m) und weiblicher (w) Individuen der Pod Kopište (PK) und der Pod Mrčaru (PM) Populationen in %. B) Bisskraft dieser in N

Diese veränderte Ernährung hatte auch Auswirkungen auf den Körperbau der Eidechsen. Pflanzliches Material ist in der Regel schwerer zu kauen als tierisches. Dementsprechend haben Individuen mit einer höheren Bisskraft bei einer stärker vegetarischen Ernährungsweise einen Überlebens- und Fortpflanzungsvorteil. Bei den Ruineneidechsen von Pod Mrčaru führte das innerhalb von etwas mehr als 30 Jahren zu einer deutlichen Steigerung der durchschnittlichen Bisskraft (Abbildung 2.B) und damit verbunden zu einem massiveren Schädel.

Des weiteren besteht etwa die Hälfte des gefressenen Pflanzenmaterial aus Material mit einem hohen Celluloseanteil, wie z.B. Pflanzenblätter und -stängel. Cellulose ist nur langsam und mit der Hilfe spezieller Mikroorganismen zu verdauen. Bei der Pod Mrčaru Population der Ruineneidechsen konnten nun Einstülpungen des Darms, sogenannte Zäkalklappen (Abbildung hier), gefunden werden. Diese Verlangsamen den Fluss des Nahrungsbreis durch den Darm und formen Fermentationskammern, in denen Mikroorganismen die Cellulose in der Nahrung zersetzen können. Die Ausgangspopulation auf Pod Kopište besitzt weder Zäkalklappen, noch die nötigen Mikroorganismen um Cellulose zu verdauen. Dieses, zusammen damit, dass weniger als 1 % aller Schuppenkriechtiere (Squamata), die Ordnung, zu der Eidechsen gehören, Zäkalklappen aufweist, deutet stark darauf hin, dass diese Darmstrukturen eine echte Neuentwicklung bei der Pod Mrčaru Population sind.

Zusammenfassung

  • Fünf Paare Ruineneidechsen wurden von einer adriatischen Insel auf eine andere umgesiedelt.
  • Als Reaktion auf die veränderten Lebensbedingungen, insbesondere eine veränderte Diät, entwickelten die Ruineneindechsen einen größeren, stärkeren Schädel und eine neue Darmstruktur.

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