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Tiktaalik: Wie findet man eine Übergangsform?

Anfang des Monats habe ich in einem Forum einen Beitrag gelesen, der, nach Angaben des Erstellers, eine Kopie eines Wachturmartikels ist. Leider konnte ich den Ersteller des Beitrags nicht dazu bringen, mir auch die Ausgabe in der der Artikel erschienen ist, oder den Autor des Artikels zu nennen. Wenn das irgendjemand kann, wäre ich dankbar dafür, dieses mitgeteilt zu bekommen.

Der Artikel selber ist wenig bemerkenswert und besteht zu einem Großteil aus Quote-mining. Jedoch ist eine Aussage des Artikels durchaus beachtenswert:

Wenn die Evolution eine Tatsache wäre, müßte das Zeugnis der Fossilien einen allmählichen Übergang von einer Art in eine andere offenbaren, ganz gleich, welche evolutionstheoretische Variante allgemein anerkannt wird. Selbst Wissenschaftler, die das „punktualistische Evolutionsmodell“ vertreten und somit an schnellere Veränderungen glauben, räumen ein, daß jene Veränderungen vermutlich doch noch während vieler tausend Jahre vor sich gegangen seien.

Damit hat der Autor des Artikels recht. Die Evolutionstheorie macht hier eine Vorhersage, nämlich die, dass es Übergangsformen gibt. Genauer gesagt, sie sagt aus, dass jede Population, solange sie nicht kurz vor dem Aussterben ist, eine Übergangsform ist. Diese Übergangsformen müsste man auch im Fossilbefund finden.

Etwas weiter heißt es:

Würde die Evolution auf Tatsachen beruhen, wäre zu erwarten, daß der Fossilbericht Anfänge neuer Lebensformen erkennen ließe. Zumindest bei einigen Fossilien sollten sich Arme, Beine, Flügel, Augen sowie weitere Organe und Knochen im Entwicklungszustand befinden. Zum Beispiel müßte zu erkennen sein, daß die Flossen der Fische den Beinen der Amphibien immer ähnlicher wurden, ebenso die Kiemen den Lungen. Es müßte zu sehen sein, daß sich die vorderen Gliedmaßen der Reptilien in Flügel verwandelten, wie sie die Vögel haben, ihre hinteren Gliedmaßen in Beine mit Krallen an den Enden, Schuppen in Federn und Mäuler in Hornschnäbel.

Hier wird dieselbe Aussage nochmals wiederholt und um konkrete Beispiele bereichert. Und in der Tat ist das eine konkrete Vorhersage, die die Evolutionstheorie macht. Wenn sie stimmt, dann müssten wir Fossilien der Art finden, wie sie gerade genannt wurden. Fänden wir solche Fossilien, dann hätten wir einen Beleg der die Evolution stützt und eine direkte Schöpfung der rezenten Arten ausschließt.

Im folgenden Artikel möchte ich auf die erste Behauptung eingehen:

Zum Beispiel müßte zu erkennen sein, daß die Flossen der Fische den Beinen der Amphibien immer ähnlicher wurden

Neil Shubin beschreibt in seinem Buch Der Fisch in uns (leider besitze ich nur die deutsche Übersetzung und nicht das englischsprachige Original), wie er ein Fossil fand, welches genau diese Kriterien erfüllt.

Schauen wir uns die Vorderextremitäten der Lurche an, so sehen wir, dass diese aus einem Oberarmknochen, zwei Unterarmknochen (Elle und Speiche), dann einer Vielzahl von Handwurzelknochen, mehreren Mittelhandknochen und schlussendlich ebenfalls einer Vielzahl an Fingerknochen bestehen. Dieses Schema bezeichnet Shubin ebenso salopp, wie einprägsam, als „ein Knochen – zwei Knochen – Knöchelchen – Finger“. Und dieses Schema finden wir bei allen Tetrapoden, also allen Wirbeltieren mit Ausnahme der Fische.


Abbildung 1: Zeichnung verschiedener Tetrapodenextremitäten: 120 Salamander, 121 Schildkröte, 122 Krokodil, 123 Vogel, 124 Fledermaus, 125 Wal, 126 Maulwurf, 127 Mensch (Leche 1909)

Dieses Schema finden wir auch schon bei den ältesten uns bekannten Amphibium Ichthyostega, dessen Alter mit etwa 370 Millionen Jahren bestimmt wurde.

Abbildung 2: a) Rekonstruktion des Skeletts von Ichthyostega e) Vorderextremität von Acanthostega. hu = Humerus = Oberarmknochen, ra = Radius = Speiche, ul = Ulna = Elle g) Hinterextremität von Ichthyostega. ti = Tibia = Schienbein, fi = fibula = Wadenbein (Ahlberg & Milner 1994).

Wie gerade erwähnt sehen die Extremitäten der meisten Knochenfische deutlich anders aus. Hier befinden sich am Ansatz der Brustflossen, die als homolog zu unseren Armen/Vorderläufen zu sehen sind, viele Knochen. Daran schließt sich dann Knorpel und Flossenhaut an.

Wie aus der Formulierung „der meisten Knochenfische“ schon zu ahnen ist, gibt es da eine rezente Ausnahme, nämlich die Lungenfische. Diese besitzen am Flossenansatz nur einen Knochen. Das heißt also, dass sie einen Oberarmknochen aufweisen.
Wir haben nun also schon den ersten Teil unseres „ein Knochen – zwei Knochen – Knöchelchen – Finger“ Schemas.
Wie der Name dieser Fische schon andeutet, besitzen sie ebenfalls eine primitive Lunge. Das dieses beides bei diesen Tieren zusammen fällt, sollte uns zu denken geben.

1881 fand man dann in Quebec das Fossil eines Fisches der Eusthenopteron getauft wurde und auf ein Alter von etwa 385 Millionen Jahren bestimmt wurde. Dieser Fisch zeigte im Anschluss an einen Oberarmknochen, den er wie die Lungenfische besaß,zwei weitere Knochen. Er hatte also schon den „ein Knochen – zwei Knochen“ Teil des „ein Knochen – zwei Knochen – Knöchelchen – Finger“ Schemas und zwar eingebettet in eine Flosse.

An der gleichen Stelle in Grönland, an der in den 20er Jahren das älteste Amphibium Ichthyostega gefunden wurde, fand man im übrigen 1988 ein weiteres frühes Amphibium, welches aus etwa der gleichen Zeit stammt. Dieses Acanthostega genannte Tier hatte zwar den gleichen „ein Knochen – zwei Knochen – Knöchelchen – Finger“ Aufbau seiner Extremitäten, wie alle anderen Tetrapoden, jedoch war an ihm interessant, dass seine Gliedmaßen nicht zur Bewegung an Land geeignet waren. Das führte zu der Hypothese, dass die ersten Tetrapodaextremitäten zum Klammern an den Untergrund, bzw. Pflanzen in flachen Gewässern genutzt wurden.

Abbildung 3: Extremitätenskelette von Zebrafisch, Lungenfisch, Eusthenopteron und Acanthostega (von oben nach unten) (Shubin 2008, S.46). Benutzt mit freundlicher Genehmigung von Kalliopi Monoyios.

Was nun fehlte, war ein Fisch, der ein frühes Handgelenk aufwies. Also einer, der die vielen Knöchelchen, die man ja auch schon in Eusthenopteron erkennen kann, in irgendeiner funktionellen Art mit den zwei Knochen verband. Und zwar in einer Weise, die noch kein vollständiges „ein Knochen – zwei Knochen – Knöchelchen – Finger“ Schema ist. Da man wusste wie alt die frühsten Lurche waren (etwa 370 Millionen Jahre als) und wie alt die jüngsten Fische, die ein „ein Knochen – zwei Knochen“ Schema aufwiesen (385 Millionen Jahre) waren, wusste man, wie alt die Gesteine waren, in denen man suchen musste. Nämlich zwischen 385 Millionen Jahren und 370 Millionen Jahren alt. Außerdem wusste man, dass Fossilien am besten in Sedimentgesteinen langsam fließender Gewässer entstehen und dass alle relevanten Fossilien im Bereich Grönland und Nordamerika gemacht wurden. Mit diesem wissen konnte man einen Bereich suchen, wo genau solche Gesteine an der Oberfläche frei lagen. Diesen fand man auch im Nordosten Kanadas in dem Nunavut-Territorium.
Wie vorhergesagt, konnte nach einigen Jahren der Suche, im Jahr 2004, dann auch genau so ein Fisch gefunden werden, wie man suchte. In Abstimmung mit den Einwohnern der Nunavut-Territoriums wurde dieser Fisch Tiktaalik, was soviel wie großer Brackwasserfisch bedeutet, genannt.

Abbildung 4: Brustflosse von Tiktaalik roseae a) in dorsaler (von "oben") und b) in ventraler (von "unten") Ansicht (Shubin et al. 2006).

Wie man im obigen Bild sieht, schließt sich an einen der zwei Knochen des „ein Knochen – zwei Knochen“ Systems, der unserer Elle entspricht, ein kleiner würfelförmiger Knochen an. Dieser trägt an Ende ein Gelenk, an dem vier weitere Knochen anschließen können. Es ist ein primitiver Handwurzelknochen und damit Teil eines primitiven Handgelenks, also genau das, wonach Shubin mit seiner Arbeitsgruppe gesucht hatte.

Wir können also, genau so, wie vorhergesagt und von Deinem Artikel gefordert, erkennen, „daß die Flossen der Fische den Beinen der Amphibien immer ähnlicher wurden“.

Schön ist hier, dass, der Rechtschreibung nach, der Wachturmartikel vor der Rechtschreibreform von 1996 geschrieben wurde. Diese spezielle Vorhersage die in ihm über die Evolution getätigt wurde, konnte dann 2004 bestätigt werden. Dadurch stützt der Wachturmartikel in schöner Weise, wenn auch wahrscheinlich unfreiwillig, die Evolution.

Quellen:
AHLBERG, PER E & MILNER, ANDREW R: The origin and early diversification of tetrapods. Nature 368, 507 – 514 (07 April 1994)

LECHE, WILHELM: MÄNNISKAN HENNES UPPKOMST OCH UTVECKLING, , Aktiebolaget Ljus, Stockholm 1909. Centraltryckeriet, Stockholm 1909. (http://runeberg.org/lecheman/0102.html Zugriff 20.1.2012)

SHUBIN, NEIL H; DAESCHLER, EDWARD B & JENKINS, FARISH A Jr:The pectoral fin of Tiktaalik roseae and the origin of the tetrapod limb. Nature 440, 764-771 (6 April 2006)

SHUBIN, NEIL H: Der Fisch in uns: Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers.Fischer (S.), Frankfurt; Auflage: 2 (6. Mai 2008), ISBN-13: 978-3100720047 ( http://tiktaalik.uchicago.edu/book.html)

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