Von Ameisen und Kreationisten

Wie Kreationisten Fachartikel für ihre Zwecke umdeuten

Vor kurzem habe ich auf einer Kreationistenseite, an der laut eigenen Angaben anscheinend die Studiengemeinschaft Wort und Wissen beteiligt ist, eine „Nachrichtenmeldung“ gelesen. Dort wird vollmundig behauptet, dass ein damals, also im Februar diesen Jahres, neuer Artikel im Fachjournal Science, das kreationistische Grundtypenmodell stützen würde.

Was ist das kreationistische Grundtypenmodell?


Das kreationistische Grundtypenmodell ist ein Modell, welches den Baum des Lebens des Common Origins, durch eine Art Strauchsavanne zu ersetzen versucht (Abbildung 1).

Abbildung 1: Der Baum des Lebens und die Strauchsavanne. Schematische Darstellung des Common Origins und des Grundtypenmodells A) Der Common Origin führt alles irdische Leben auf den gleichen Ursprung zurück. B) Im Grundtypenmodell werden zwar leichte Variationen des Bauplans erlaubt, jedoch wird diese Flexibilität, auf scheinbar willkürliche Weise, auf nicht näher definierte Grenzen eingeschränkt.



Grund dafür ist der Versuch, eine wortwörtliche Auslegung der Bibel, genauer gesagt von 1 Mose 1,20f, und die beobachtbare Evolution zu vereinen. Dabei werden alle Lebewesen in verschiedene Grundtypen eingeteilt.So gibt es z.B. einen Hundegrundtyp, zu dem unter anderem Wölfe, Schakale und Füchse gehören, und einen Katzengrundtyp, zu dem alle Katzen gehören.
Prinzipiell wird ein Grundtyp als Komplex von Arten definiert, die sich direkt oder über Schritte, untereinander Kreuzen lassen. Praktisch scheint jedoch wenig Einigkeit darüber zu herrschen, welche Spezies nun einen Grundtypen (oder ein Baramin) bilden. Dies liegt sicherlich zum einem daran, dass es in der Praxis recht schwer ist, solche Kreuzungsgemeinschaften bei Lebewesen, die über den Globus verstreut sind, nachzuvollziehen. Zum anderen immunisiert ein solches loses Konzept das Modell auch gegen Kritik.

Während nun eine Evolution innerhalb dieser locker definierten Baramin als Mikroevolution erlaubt wird, wird verneint, dass sich diese Grundtypen selber auf gemeinsame Vorfahren zurückführen lassen. Also Beispielsweise, dass sich sowohl die Hunde, als auch die Katzen aus einen gemeinsamen Vorfahren unter den frühen Raubtieren heraus entwickelt haben.
Stattdessen wird behauptet, dass Gott, bzw. ein Intelligenter Designer, die Grundtypen direkt geschaffen hat und diese sich dann, oft behauptet im Folge einer globalen Flut, in die einzelnen Spezies des Grundtyps aufgespalten haben.

Dieses wird entweder durch den Verlust genetischer Information erklärt, welche die anfängliche Population aufspaltet, oder durch das „versteckte“ Vorhandensein genetischer Information, die bei Bedarf aktiviert werden können. Durch letzteres werden die Grundtypen dann als polyvalente Grundtypen bezeichnet. In dem gelinkten Nachrichtenartikel auf genesis.net, als dessen Autor Reinhard Junker genannt wird, wird nun genau dieses Konzept der polyvalenten Grundtypen angesprochen.

Was genau behauptet wird

Es geht darum, dass in den meisten Arten der, mit etwa 1.100 bekannten Spezies sehr artenreichen, Ameisengattung Pheidole zwei Arbeiterkasten ausgebildet werden. Also Arbeiter, die für die meisten Arbeiten innerhalb des Staates verantwortlich sind und Soldaten, die diesen Verteidigen und Nahrung verarbeiten. Jedoch wird in einigen wenigen Arten eine dritte Kaste von Supersoldaten ausgebildet. Diese Supersoldaten sind deutlich größer als die andere Soldatenkaste und haben die Aufgabe bei einem Angriff des Ameisennestes durch Wanderameisen die Nesteingänge zu blockieren und so das Nest zu schützen (Foto von Arbeitern, Soldaten und Supersoldaten von P. obtusospinosa). Diese acht Arten sind alle im Südwesten Nordamerikas beheimatet. Unter ihnen sind sowohl für Pheidole basale Arten, wie P. rhea, also welche, deren Linie sich schon früh von der Linie, die zu den anderen Arten führt getrennt hat, als auch abgeleitete Arten, wie P. obtusospinosa.

Rajakumar et al stießen nun auf Long Island, NY auf eine Kolonie der im Osten der U.S.A. vorkommenden Spezies P. morrisi, die ebenfalls einige Soldaten beherbergte, die im Phänotyp den Supersoldaten der acht bekannten Arten ähneln, die Supersoldaten ausbilden. Des weiteren wurde gezeigt, dass dieser Supersoldatenphänotyp durch die zusätzliche Expression eines Hormon ausgelöst wird, welches auch eine Rolle in der Entwicklung der kleineren Soldatenkaste spielt und das die Gabe eines Analogons den Supersoldatenphänotyp in P. morrisi induzieren kann. Auch kann das Hormonanalogon diesen Phänotyp noch in einigen anderen Spezies, wie P. spadonia und P. hyatti, die ebenfalls diesen Phänotyp in der Regel nicht ausbilden, induziert werden (Abbildung 2).

Abbildung 2: Der Supersoldatenphänotyp kann sowohl natürlich vorkommen, als auch künstlich induziert werden. Dabei war dieser Phänotyp schon in der Ursprungspopulation vorhanden. In abgeleiteten Arten ging dann die Expression dessen zunächst verloren und wurde in einigen Spezies wieder neu erlangt (Rajakumar et al 2012).

Daraus folgerten Rajakumar et al, dass die Ausbildung der Supersoldatenkasten ein ursprüngliches Merkmal der Gattung Pheidole ist. Da die Ausbildung so großer Individuen jedoch sehr energieaufwendig ist, wurde bei den abgeleiteten Arten die Expression des, jedoch nicht die benötigten genetische Information für, diesen Phänotyp verloren, als keine Notwendigkeit für diese Kaste bestand. Später erwarben dann einige abgeleiteten Arten, als sie wieder in Kontakt mit Wanderameisen kamen, die Expression des Phänotyps wieder.

Junker behauptet nun in seinem Nachrichtenartikel auf genesis.net, dass dieses ein Beleg für das Konzept der polyvalenten Grundtypen wäre.

Wieso der Artikel für mich nicht das Konzept der polyvalenten Grundtypen stützt

Zunächst einmal sollte nach meiner vorherigen Zusammenfassung des Artikels klar sein, dass die Beobachtungen von Rajakumar et al sich auch wunderbar herkömmlich über die Evolutionstheorie und den Common Origin erklären lassen. Es ist halt ein Merkmal (im weitesten Sinne), dass irgendwann erworben wurde und dessen Expression, je nach selektiven Druck verloren und dann wiedererlangt wurde.

Interessant ist es auch, sich anzusehen, wie dieser Wiedererwerb stattfand. Bei P. obtusospinosa wurde dazu erneut eine zweite Expressionsphase des verantwortlichen Hormons entwickelt. Von einem einfachen An- und Ausschalten wie Junker es andeutet, kann man hier meine Meinung nach kaum reden. Interessant wäre nun heraus zu finden, welche Mutationen nun genau für den Verlust und den Wiedererwerb dieser zweiten Expressionsphase verantwortlich waren.

Ein großes Problem für die Bedeutung des Science-Artikels für das Grundtypenmodell sehe ich darin, dass sowohl Wanderameisen als auch die Gattung Pheidole in den Tropen und Subtropen weltweit weit verbreitet sind. Bei den etwa 1.100 Arten von Pheidole sollten wir, wenn der Supersoldaten Phänotyp wirklich „Bedarf aktiviert und abgerufen werden [kann]“, um die Kolonie gegen Wanderameisen zu verteidigen, wie Junker andeutet, deutlich mehr Pheidole Spezies kennen, die diesen Phänotyp zeigen, als die acht, die wir tatsächlich kennen.
Junker ignoriert dieses Problem, Rajakumar et al jedoch nicht. Diese erklären das damit, dass in den abgeleiteten Arten oft der selektive Druck hin zur Expression des Phänotyps gefehlt hätte, da diese andere Verteidigungsmaßnahmen, wie ein Nestevakuierungsverhalten, gegen Wanderameisen entwickelt hätten. Die Neuexpression eines alten, energieaufwendigen Merkmals war also nicht mehr vorteilhaft für diese Arten, da sie das Problem über neugewonnene Merkmale lösten.
Dieses scheint mir nicht für das Grundtypenmodell zu sprechen.

Viel wichtiger finde ich noch, dass in einer Vielzahl von Fachartikel, sowohl über molekularbiologische Methoden, als auch morphologischen Untersuchungen, gezeigt werden konnte, dass die Hexapoda, zu denen die Insekten als Unterklade gehören, ein Monophylum bilden (mehr dazu hoffentlich in einem späteren Artikel).
Dieses ist mit dem Grundtypenmodell, egal ob polyvalent oder nicht, nur sehr schwer, bis gar nicht, vereinbar. Jedoch stützt das wunderbar das Modell des Common Origin.

Fazit

Man muss der Nachrichtenmeldung Junkers anrechnen, dass dort keine offenen Unwahrheiten behauptet werden, wie man sie sonst oft in kreationistischen Veröffentlichungen findet. Jedoch muss man kritisieren, dass dort unbequeme Informationen und Probleme ausgelassen werden und Junker doch recht subtil leitet.
Es ist zwar richtig, dass man den Science-Artikel, wenn man ihn streng für sich alleine nimmt, mit den polyvalenten Grundtypenmodell vereinbaren kann. Ausgelassen wird aber, dass man die Erkenntnisse von Rajakumar et al in dem Kontext anderer Arbeiten zur Kladistik der Insekten sehen muss. Diese zeichnen aber ein eindeutiges Bild, welches sich nicht mit dem kreationistischen Grundtypenmodell vereinbaren lässt. Junker verschweigt das leider.
Auch wird in der Meldung Junkers nirgendwo explizit erwähnt, dass sich der Science-Artikel nicht mit der Evolutionstheorie vereinbaren lässt, mir als Leser kam es jedoch andauernd so vor, als wollte man dieses implizieren.
Diese subtilere Art der Manipulation halte ich für deutlich problematischer, als offene Lügen, wie man sie oft in amerikanischen Publikationen, oder bei Harun Yahya liest.

Quelle:

Rajakumar, R., San Mauro, D., Dijkstra, M.B., Huang, M.H., Wheeler, D.E., Hiou-Tim, F., Khila, A., Cournoyea, M. & Abouheif, E. (2012). Ancestral Developmental Potential Facilitates Parallel Evolution in Ants, Science, 335 (6064) 82. DOI: 10.1126/science.1211451

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